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Zum Thema grenzüberschreitende Versorgung

Patientenmobilität und Kooperationspotenziale im Gesundheitsbereich im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau: Ergebnisse einer Umfrage unter Ärztinnen und Ärzten

Das trinationale Kompetenzzentrum TRISAN und der Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau haben im Frühling 2019 eine breitangelegte Umfrage unter Ärztinnen und Ärzten durchgeführt, die in einer Praxis auf dem Gebiet des Eurodistrikts tätig sind. Diese Umfrage zielte zunächst darauf ab, die notwendigen Daten für die Erstellung einer Karte der bilingualen Ärztinnen und Ärzte im Eurodistrikt zu sammeln. Die Umfrage bot auch die Möglichkeit, die Ärztinnen und Ärzte zu ihren Erfahrungen im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu befragen.

Da die Umfrage vor der Coronavirus-Pandemie durchgeführt wurde, möchten wir darauf hinweisen, dass sich die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse von der heute wahrgenommenen Situation unterscheiden können.

Die Karte der zweisprachigen Ärztinnen und Ärzte kann auf der Webseite des Eurodistrikts Strasbourg-Ortenau eingesehen werden (Reiter „Gesundheit" → „Ärzte").


Profil der Ärztinnen und Ärzte, die an der Umfrage teilgenommen haben

Die Umfrage wurde an 1 900 Ärztinnen und Ärzte verschickt (1200 auf französischer und 700 auf deutscher Seite), was nahezu der Gesamtheit der Vertragsärztinnen und -ärzte im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau entspricht. 175 Ärztinnen und Ärzte haben an der Umfrage teilgenommen (132 auf französischer und 43 auf deutscher Seite), also 9,2% der Befragten. Bei 41% der Teilnehmenden handelt es sich um Allgemeinärztinnen und -ärzte, bei 59% um Fachärztinnen und -ärzte. Unter den Teilnehmenden erhob sich der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, die sich dazu fähig fühlen, eine Sprechstunde in der Nachbarsprache durchzuführen, auf 55% auf französischer Seite (73 Befragte) und 79% auf deutscher Seite (35 Befragte). Diese Ergebnisse sind nicht unbedingt repräsentativ für die Sprachkenntnisse der Ärztinnen und Ärzte im Eurodistrikt: Da die Umfrage primär darauf abzielte, eine Kartografie bilingualer Ärztinnen und Ärzte zu erstellen, kann angenommen werden, dass vor allem diejenigen Ärzte/innen an der Umfrage teilgenommen haben, die die Nachbarsprache beherrschen.  
 

Häufigkeit der Sprechstunden mit Patientinnen und Patienten aus dem Nachbarland und deren Motivationen

Fast drei Viertel der Befragten geben an, bereits Versicherte aus dem Nachbarland behandelt zu haben. 26% (46 Befragte) behandeln Versicherte aus dem Nachbarland mindestens einmal pro Monat, und 14% (25 Befragte) mindestens einmal pro Woche. Diese Zahlen müssen mit Vorsicht analysiert werden, da nicht auszuschließen ist, dass der Begriff „versicherte Person aus dem Nachbarland“ von den Befragten unterschiedlich interpretiert wurde (Versicherungsland vs. Staatsangehörigkeit der Patientinnen und Patienten; Einbeziehung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern oder nicht, etc.). Laut der befragten Ärztinnen und Ärzte, geben die Patientinnen und Patienten aus dem Nachbarland vor allem folgende Gründe für ihren Besuch an:

  • Sprachliche Motive, zum Beispiel ein deutscher Muttersprachler, der in Frankreich wohnt und versichert ist, sich aber lieber in Deutschland behandeln lässt (58 Antworten);
  • Notfallbehandlungen während eines Aufenthalts im Nachbarland (51 Antworten);
  • Patientinnen und Patienten, die ins Nachbarland gezogen sind, aber gerne weiterhin von ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt in ihrem vorherigen Heimatland behandelt werden möchten (50 Antworten).

Die anderen Motive, die im Fragebogen zur Auswahl standen, wurden seltener angekreuzt:

  • Reputation der Ärztin oder des Arztes (35 Antworten);
  • Fehlen oder Mangel eines ähnlichen wohnortnahen Angebots im Nachbarland (27 Antworten);
  • Wartezeit im Nachbarland (5 Antworten);
  • Überweisung durch eine andere Ärztin oder einen anderen Arzt des Nachbarlands (3 Antworten).

Die Umfrage bestätigt somit die Ergebnisse einer Patientenumfrage, die 2016 im Raum PAMINA durchgeführt wurde: Mit Ausnahme der Notfallbehandlungen ist die grenzüberschreitende Patientenmobilität oftmals mit dem persönlichen Hintergrund des Patienten bzw. der Patientin verbunden (diese begeben sich ins Nachbarland, um in ihrer Muttersprache behandelt zu werden; Umzug ins Nachbarland). Die Charakteristika der Gesundheitsversorgung (z.B. Qualität der Versorgung) auf beiden Seiten der Grenze scheinen, zumindest im Bereich der ambulanten Medizin, keinen nennenswerten Einfluss auf die Behandlungsentscheidung zu haben.
 

Überweisung von Patientinnen und Patienten ins Nachbarland

Ungefähr zwei Drittel der befragten Ärztinnen und Ärzte (112 Befragte) haben noch nie Patientinnen und Patienten an eine im Nachbarland tätige Ärztin bzw. einen im Nachbarland tätigen Arzt überwiesen. Meistens hat sich diese Frage noch nie gestellt (83 Antworten). Allerdings geben einige Ärztinnen und Ärzte an, dass der Mangel an Kontakten und Kenntnissen über das Versorgungsangebot im Nachbarland ein Hindernis darstellt (49 Antworten). Als weitere Bremsfaktoren werden die Probleme bei der Kostenerstattung (14 Antworten) sowie die Sprachbarriere genannt.

Ungefähr ein Drittel der befragten Ärztinnen und Ärzte (54 Befragte) geben an, gelegentlich Patientinnen und Patienten an Kolleginnen und Kollegen im Nachbarland zu überweisen. Nur zwei Befragte nehmen diese Option noch häufiger wahr. Die grenzüberschreitenden Überweisungen erfolgen ebenso häufig auf Initiative der Patientinnen und Patienten als auf Initiative der Ärztinnen und Ärzte. Meistens (26 Antworten) lassen sich die grenzüberschreitenden Überweisungen durch die Suche nach spezifischen Kompetenzen und/oder das Bestehen eines sehr spezialisierten Angebots im Nachbarland erklären. Erwähnenswert sind insbesondere die Überweisungen von französischen Versicherten an die Földiklinik (diese Einrichtung liegt im Schwarzwald und ist auf die Lymphom-Behandlung spezialisiert), an die Klinik Berus (saarländische Einrichtung, die auf Psychosomatik spezialisiert ist) und an das Epilepsiezentrum Kork. Grenzüberschreitende Überweisungen in die Ortenau finden auch in Fällen von Transidentität, Cholangitis (seltene und verwaiste Krankheit) oder Borreliose (Einholen einer Zweitmeinung) statt. Umgekehrt überweisen Ärztinnen und Ärzte aus der Ortenau Patientinnen und Patienten für folgende Pathologien nach Straßburg: Schilddrüsenszintigraphie, Infektionskrankheiten, pneumo-allergologische Pathologien oder auch Neurochirurgie.

Die grenzüberschreitenden Überweisungen sind nicht nur an die Suche nach spezifischen Kompetenzen gebunden. Andere Motive wurden auch genannt:

  • Wohnortsnahe Nachsorge (8 Antworten): Dies betrifft vor allem Patentinnen und Patienten, die bei einem Notfall während eines Aufenthalts im Nachbarland eine Ärztin oder einen Arzt vor Ort aufsuchen und die nach ihrer Rückkehr ins Heimatland weiterbehandelt werden müssen;
  • Kürzere Wartezeiten im Nachbarland, vor allem für MRT (7 Antworten);
  • Günstigere Eizellengesetzgebung in Deutschland.
     

Informationsbedarf für Ärztinnen und Ärzte

Die Umfrage zeigt, dass die Ärztinnen und Ärzte einen großen Informationsbedarf über grenzüberschreitende Fragestellungen haben, sei es bezüglich der Kostenübernahmebedingungen, der Modalitäten der Abrechnung, der Kenntnisse über das Versorgungsangebot im Nachbarland oder der Überweisungsmöglichkeiten ins Nachbarland.
 

Zukünftige Handlungsfelder

Am Ende der Umfrage konnten die Ärztinnen und Ärzte ihre Empfehlungen mitteilen, um den Zugang zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu verbessern und allgemein, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau weiter zu entwickeln. Nach Auswertung der Ergebnisse konnten folgende Handlungsfelder identifiziert werden:

  • Den grenzüberschreitenden Austausch zwischen den Ärztinnen und Ärzten fördern (26 Antworten)
    Am häufigsten genannt wurde die Förderung des grenzüberschreitenden Austausches zwischen den Ärztinnen und Ärzten. Dieser Austausch kann zahlreiche Formen annehmen. Vorgeschlagen wurde u.a.: die Organisation von gemeinsamen medizinischen Fortbildungen (binationale medizinische Qualitätszirkel); Austausch von Praktiken; Kennenlernen des Versorgungsangebots im Nachbarland; Errichtung eines grenzüberschreitenden Kontaktverzeichnisses; grenzüberschreitende Praktika während des Studiums. Spezifischere Themen für künftige Austausche wurden auch genannt: Versorgung von Risikogruppen, Eizellenspende, Doppelspende und Sterbehilfe.
     
  • Die grenzüberschreitende Kostenübernahme vereinfachen (18 Antworten)
    Eine große Anzahl an Antworten betrifft die Kostenerstattung. Die Ärztinnen und Ärzte plädieren zum einen für eine Verbesserung der Kostenübernahmebedingungen und zum anderen für eine bessere Information diesbezüglich. Einer der Befragten weist außerdem auf die Problematik der Kostenübernahme bei grenzüberschreitenden Behandlungen für in Europa wohnhafte nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger hin.  
     
  • Den grenzüberschreitenden Zugang zu bestimmten Fachrichtungen vereinfachen (5 Antworten)
    Über die allgemeine Verbesserung der Kostenübernahmebedingungen hinaus, weisen einige Befragte auf bestehende Komplementaritäten des Versorgungsangebots hin, die besser ausgenutzt werden sollten. Zum Beispiel könnte es für Patientinnen und Patienten aus der Ortenau, die sich einer Radiojodtherapie unterziehen müssen, sinnvoll sein, eine Behandlung auf französischer Seite in Betracht zu ziehen, da sich auf deutscher Seite die nächstgelegenen Versorgungsangebote in Freiburg und Karlsruhe befinden. Gleiches gilt für Kehler Patientinnen und Patienten, die einen Herzinfarkt erleiden. Eine Behandlung auf französischer Seite wäre laut einem Befragten wünschenswert, da sich die in Deutschland nächstgelegenen Herzkatheter in Lahr oder Baden-Baden befinden. Umgekehrt wäre es laut einigen Befragten für Straßburger Patientinnen und Patienten sinnvoll, sich bei MRT, Scanner und Scanner mit Kontrastmitteln in der Ortenau behandeln zu lassen, da die Wartezeit dort kürzer sei.
     
  • Sprachkompetenzen stärken (5 Antworten)
    Einige Befragten betonen die Notwendigkeit, das Erlernen der Nachbarsprache zu fördern. Es wurde angeregt, auf der interaktiven Karte der zweisprachigen Ärztinnen und Ärzte auch die Englisch-Kenntnisse zu berücksichtigen, da es sich oftmals um die einzige gemeinsame Sprache zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Patientinnen bzw. Patienten handelt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Mangel an Sichtbarkeit und Transparenz bezüglich der Möglichkeiten und der Bedingungen des Zugangs zur Versorgung im Nachbarland besteht, vor allem hinsichtlich der Kostenübernahme. Die Umfrage verdeutlicht außerdem, dass es Komplementaritäten bei der Versorgung dies- und jenseits der Grenze gibt und hebt das Interesse der Ärztinnen und Ärzte hervor, den grenzüberschreitenden Austausch zu fördern.

Alle Umfrageergebnisse im Detail können Sie hier herunterladen

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