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Zum Thema grenzüberschreitende Versorgung
Als deutsche Psychotherapeuten im Elsass – ein Erfahrungsbericht von Herrn und Frau Wickenhäuser (Dipl.-Psych.)
Herr und Frau Wickenhäuser sind Psychotherapeuten in der Verhaltenstherapie und haben ihre gemeinsame Praxis seit 2010 in Wissembourg. Ihren Abschluss haben sie in Deutschland erworben und nach 25 Jahren Tätigkeit in einer deutschen Klinik haben sie sich auf französischer Seite selbständig gemacht. Ihre Patienten / -innen sind vorwiegend in Deutschland Versicherte, sowohl Grenzgänger als auch in Deutschland Wohnende, da Psychotherapieleistungen, anders als für in Frankreich Versicherte, von den deutschen Krankenkassen erstattet werden. Wir interessieren uns für ihre grenzüberscheitenden Erfahrungen als deutsche Psychotherapeuten im Elsass.
Herr und Frau Wickenhäuser, warum haben Sie sich als deutsche Psychotherapeuten in Frankreich niedergelassen?
Die Arbeitsbedingungen im stationären Bereich auf deutscher Seite haben sich im Laufe der Jahre so verändert, dass wir Patienten / -innen nicht mehr so intensiv betreuen konnten wie zu Beginn unserer Berufstätigkeit. So wurden wir immer unzufriedener und der Wunsch nach Veränderung wurde stärker. Wir wollten selbständig sein, das war aber in Deutschland nicht möglich, weil die Kassenärztliche Vereinigung auf Grund der Bedarfsplanung die Zulassung beschränkt. Auf der Suche nach anderen Möglichkeiten hatten wir die Idee, uns in Wissembourg niederzulassen, da wir den Ort durch unsere grenznahe Berufstätigkeit schon seit längerer Zeit privat kannten.
Mit großer Unterstützung der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz haben wir die ersten Schritte gewagt. Wir bekamen wichtige Informationen, z.B. darüber wer unsere Ansprechpartner sowohl in Deutschland als auch in Frankreich sein könnten. Wir nahmen Kontakt mit dem Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz auf und bekamen (und bekommen noch heute) bei Bedarf viel Unterstützung und Hilfe bei den Verhandlungen mit den deutschen Krankenkassen. Mit diesen Helfern konnten wir das Projekt Anfang 2010 starten und arbeiteten zunächst noch in der Klinik weiter, bis wir sicher waren, dass es funktioniert. Ab Mai 2011 sind wir ausschließlich in Wissembourg tätig.
Sicher haben Sie sich gefragt, ob es möglich ist, in Deutschland versicherte Patienten in Frankreich zu behandeln? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden?
Natürlich muss man die deutsche Approbation – also die Erlaubnis zum Ausüben der Heilkunde haben. Diese bekommt man nach dem Studium der Psychologie, die zu unserer Zeit noch mit dem Diplom abgeschlossen wurde und der anschließenden therapeutischen Zusatzausbildung. Das mussten wir dann in Frankreich anerkennen lassen. Zudem müssen die psychotherapeutischen Behandlungen von den deutschen Krankenkassen vorab genehmigt werden. Die Krankenkassen müssen auch über die Rechtslage informiert sein. Auch die deutsche Sprache ist ein wichtiges Element.
Wie wurde ihr deutscher Abschluss in Frankreich anerkannt, welche Probleme bzw. Herausforderungen gab es dabei?
Die Anerkennung des Diploms in Frankreich war nicht so einfach, zumal Psychotherapeuten nicht die gleiche Ausbildung erhalten. Wir mussten erst die zuständigen Behörden und Ansprechpartner ausfindig machen, das war echte Detektivarbeit und hat viel Zeit in Anspruch genommen. Dann mussten die Dokumente übersetzt und eingereicht werden und anschließend begann das Warten. Knapp 6 Monate später erhielten wir dann 2009 die Anerkennung, zuerst als Psychologe. Nachdem 2012 auch in Frankreich das Psychotherapeutengesetz in Kraft getreten ist, erfolgte noch einmal die gleiche Prozedur bis wir auch als „Psychotherapeuten“ anerkannt waren. Denn nur der Psychotherapeut ist – analog den Ärzten – zur Ausübung der Heilkunde berechtigt. Um in Deutschland Versicherte behandeln zu dürfen, muss man, wie gesagt, in Deutschland anerkannt sein. Bei der Anerkennung in Frankreich handelt es sich vor allem um die Anerkennung des Berufs des Psychotherapeuten. Wir haben eine Berufserlaubnis für beide Länder.
Wie wird generell die Psychotherapie in Deutschland und Frankreich anerkannt?
In Deutschland ist die Psychotherapie, insbesondere die Verhaltenstherapie, schon seit Langem anerkannt und die Psychotherapie ist seit langem Kassenleistung. Die Verhaltenstherapie ist früh in die Krankenbehandlung eingeflossen. Anders ist es in Frankreich, wo dieser Beruf, wie gesagt, erst mit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 2012 anerkannt wurde. Psychotherapieleistungen werden dennoch in Frankreich nicht von den Kassen erstattet. Frankreich hat eine andere Tradition mit einem eher psychoanalytischen Ansatz, die Verhaltenstherapie ist weniger verbreitet als in Deutschland.
Wie könnte man die Verhaltenstherapie kurz beschreiben?
Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine der verbreitetsten Formen der Psychotherapie. Sie basiert auf zwei Ansätzen: der kognitiven Therapie und der Verhaltenstherapie. Dabei spielen die drei Faktoren Verhalten, Gedanken und Gefühle eine grundlegende Rolle, denn sie haben einen entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Die Verhaltenstherapie hat ihren Ursprung im Behaviorismus aus den USA und hat in Deutschland frühzeitig Einfluss gefunden. Sie hat zum Ziel, Verhalten zu untersuchen und zu erklären. Zunächst soll bei einer Diagnose herausgefunden werden, ob es bestimmte Verhaltensweisen gibt, die Probleme noch verstärken. Anschließend wird durch eine Therapie daran gearbeitet, solche Verhaltensweisen zu ändern.
Die Psychotherapie in Deutschland dient ausschließlich der Behandlung von Krankheiten. Für jedes Krankheitsbild gibt es eine therapeutische Vorgehensweise, die dann je nach Fall entsprechend angewandt wird.
Ihre Patienten / -innen sind vorwiegend in Deutschland Versicherte, aber auch einige in Frankreich Versicherte suchen Sie auf. Welche Unterschiede gibt es bei der Kostenübernahme bzw. Abrechnung zwischen den Patienten / -innen, aber auch im Hinblick auf Ihre ärztlichen Kollegen / -innen? Gibt es Probleme?
Wie schon erwähnt, werden die Behandlungen für die in Deutschland versicherten Patienten / -innen von den deutschen Krankenkassen erstattet (unabhängig vom Wohnort) und für die in Frankreich Versicherten gibt es keine Kostenübernahme im Bereich Psychotherapie, die Kosten müssen privat getragen werden. In Deutschland sind, im Gegensatz zu vertragsärztlichen Leistungen, Psychotherapieleistungen genehmigungspflichtig. Bei den Therapieformen werden in den Bereichen Verhaltenstherapie, Psychoanalyse und Tiefenpsychologie die Leistungen von der Kasse übernommen. In unserem Fall erfolgt die Abrechnung außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung direkt bei der Kasse über das Kostenerstattungsverfahren.
Da wir nach unserem Wissen die einzigen Psychotherapeuten hier im Grenzstreifen auf französischer Seite sind, die mit in Deutschland Versicherten arbeiten, muss man bei den Kassen immer wieder auf die rechtliche Seite hinweisen. Bei vielen Kassen klappt es mittlerweile recht gut, mit manchen haben wir einen Versorgungsvertrag, mit anderen nicht. Wir haben noch Probleme mit einer Kasse, die die Aufnahme der Patienten / -innen bei uns wegen unserer geographischen Lage erschwert. In solchen Fällen wenden wir uns an das Bundesversicherungsamt und haben damit bis jetzt allen Patienten / -innen zu ihrem Recht verhelfen können.
Wie läuft eine Behandlung ab und welche Regelungen gelten? Welche Sprache sprechen Sie?
Wir behandeln gemäß den deutschen Psychotherapierichtlinien vom April 2017. In unserer Praxis gelten die Regeln für die in Deutschland Versicherten. In der ersten Stunde, der sogenannten Sprechstunde, wird die Indikation zur Psychotherapie überprüft. Dann hat man 4 sogenannte probatorische Sitzungen, in denen man sich gegenseitig „beschnuppern“ kann. Anschließend wird bei der Krankenkasse der Antrag auf Kurzzeittherapie gestellt (das sind zwei Mal 12 Sitzungen), eventuell kann in dieser Zeit ein Ausführlicher Antrag mit Bericht an den Gutachter zur Langzeittherapie (zusätzlich 36 Sitzungen) gestellt werden.
Bei der Psychotherapie spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Die Therapie findet möglichst auf Deutsch statt, weil das unsere Muttersprache ist und es bei der Therapie auf Nuancen ankommt. Das trauen wir uns in der Fremdsprache nicht zu, aus Angst, etwas falsch zu verstehen oder etwas zu übersehen. Zwischendurch mal die Sprache zu wechseln, wie es bei den Elsässern üblich ist, ist kein Problem.
Wie lang ist die Wartezeit für einen Termin bei einem Psychotherapeuten in Deutschland im Vergleich zu Ihnen? Wie kommen die Patienten / -innen zu ihnen?
In Deutschland beträgt die durchschnittliche Wartezeit auf einen Therapieplatz 19,9 Wochen. Wir können und wollen relativ schnell einen Platz anbieten, daher ist die Wartezeit bei uns z. T. erheblich kürzer. Das ist uns wichtig, da wir es noch aus unserer Zeit in der Klinik wissen, wie schwierig es ist, eine Anschlussbehandlung zu finden.
Wir arbeiten mit mehreren Ärzten in Deutschland und Frankreich zusammen. Von denen kommt ein Teil der Patienten / -innen über Hausärzte / -innen oder Psychiater / -innen zu uns, ein anderer Teil durch Mund-zu-Mund-Propaganda.
Gibt es viele Psychotherapeuten im Oberrhein auf französischer Seite im Vergleich zur deutschen Seite? Gibt es Kollegen in der Nähe?
Mit diesem grenzüberschreitenden Konzept sind wir unseres Wissens die einzigen. Es gibt deutsche Kollegen in Rheinland-Pfalz entlang der Grenze. In Frankreich gibt es eine kleine Berufsgruppe von Verhaltenstherapeuten, die jedoch nur mit Franzosen zusammenarbeiten.
Wo liegen Ihrer Meinung nach grenzüberschreitende Bedarfe?
Krankenkassen und Patienten / -innen sollten mehr bzw. besser über die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Behandlung informiert werden.
Wie war und ist Ihr Frankreich-Bild? Ist eine sprachliche und kulturelle Integration wichtig?
Wir fühlen uns in Frankreich sehr wohl und können uns gut mit der französischen Mentalität identifizieren. Die gute Beherrschung der Sprache des Gastlandes ist eine der Grundvoraussetzungen für eine gelungene Integration. Sich in Wissembourg niederzulassen, war eine sehr persönliche Entscheidung, da uns dieser Ort, wie schon erwähnt, schon seit Jahrzehnten bekannt und sehr sympathisch ist und wir auch seit den achtziger Jahren regelmäßig in Frankreich waren. Daher war es für uns kein Problem, uns in Frankreich trotz des zusätzlichen administrativen Aufwands selbständig zu machen. Wir fühlen uns hier zu Hause.
Würden Sie anderen Kollegen / -innen bzw. ärztlichen Berufsgruppen raten, sich in Frankreich niederzulassen? Haben Sie diese Entscheidung nie bereut?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Man muss bereit sein, die unangenehmen Seiten in Kauf zu nehmen, die durch unsere Tätigkeit im französischen Ausland entstehen, wie zum Beispiel immer wieder zu erklären, auf welcher rechtlichen Grundlage die Arbeit basiert.
Wir für uns haben jedenfalls die Entscheidung keine Sekunde lang bereut.
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