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Zum Thema Gesundheitssysteme

Wieso Brüssel die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich unterstützt

| Patientenmobilität

Ein Interview mit Corina Creţu, EU Kommissarin für Regionalpolitik

Wieso ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich ein wichtiger Bestandteil der Regionalpolitik?

Die Aufgabe der Regionalpolitik ist es, das Leben der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union zu verbessern – gleich wo sie leben. Der Gesundheitsbereich ist daher ein wichtiger und unverzichtbarer Teil der Europäischen Regionalpolitik. Wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen Regionen existieren oft innerhalb des gleichen Landes, das Leben in der Nähe einer nationalen Grenze kann zusätzlich den Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen einschränken. Angesichts der Tatsache, dass mehr als einer von drei Europäern in einer Grenzregion lebt, ist grenzüberschreitende Gesundheitskooperation der Schlüssel, um das aus der Grenznähe resultierende gemeinsame Problem in eine gemeinsame Chance umzuwandeln.

Es ist in der Tat so, dass wir alle als Bürgerinnen und Bürger eine wohnortnahe und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung möchten. Wenn das nächste Krankenhaus, das eine Erkrankung behandeln kann, sich nur 3 km von der Grenze entfernt befindet, wieso sollte man dann gezwungen sein, sich in Einrichtungen des Heimatlandes versorgen zu lassen, die sich in mehr als 50 km Entfernung befinden? In diesem Fall sollte der gesunde Menschenverstand Vorrang über veraltete Verwaltungsstrukturen und Hürden haben.

Grenzregionen sind nun schon seit 25 Jahren an INTERREG Projekten beteiligt und haben daher ein wachsendes Interesse daran, in den Gesundheitssektor zu investieren, die Mobilität von Patientinnen und Patienten und Fachkräften zu fördern, gemeinsame Einrichtungen zu entwickeln und Erfahrungen über Grenzen hinweg zu teilen. Und das funktioniert!

In welchen Feldern des Gesundheitswesens gibt es die meisten grenzüberschreitenden Projekte?

Nach einer aktuellen aus EU-Mitteln finanzierten Studie über grenzüberschreitende Gesundheitskooperation, die am 27. März 2018 veröffentlicht wurde, sind die Bereiche Wissenstransfer und -management im letzten Jahrzehnt am häufigsten mit europäischen Fördergeldern unterstützt worden. Am zweithäufigsten wurden Projekte gefördert, die sich eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung zum Ziel gesetzt haben. Dazu zählen die gemeinsame Diagnose und Behandlung von Patienten. Darüber hinaus gibt es grenzüberschreitende Projekte, in denen es um die Mobilität und (Aus-)Bildung von Fachkräften im Gesundheitsbereich sowie die Bereiche Rettungsdienst und kostspielige Investitionen geht.

Die Bandbreite der möglichen Kooperationen reicht von der Bündelung der Informationen über grenzüberschreitende Patientenmobilität bis hin zur Schaffung eines grenzüberschreitenden Krankenhauses mit einer grenzüberschreitenden Rechtskörperschaft. Die DG REGIO hat kürzlich eine Broschüre veröffentlicht, die einen guten Überblick über einige grenzüberschreitende Projekte im Gesundheitsbereich schafft. Das Projekt TRISAN ist eines der guten Beispiele, die darin aufgeführt werden.

Über welchen Handlungsrahmen verfügt die Europäische Kommission im Bereich der öffentlichen Gesundheitspolitik?

Die Hauptinstrumente der EU-Kommission liegen darin, Gesetze zu erlassen, Finanzinstrumente zur Verfügung zu stellen und nicht-bindende Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten zu erteilen. Dies passiert zum Beispiel im Rahmen des Zyklus des Europäischen Semesters und der Initiative Gesundheitszustand in der EU. Eine wichtige Gesetzgebung der EU zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ist die Richtlinie 2011/24/EU über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Sie garantiert Patientenrechte und damit einen Zugang zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in der EU garantiert und deren Recht auf Rückerstattung der Behandlungskosten. Außerdem regeln die Sozialversicherungsbestimmungen die Inanspruchnahme von geplanten und nicht-geplanten Gesundheitsdienstleistungen, letzteres über die Europäische Krankenversicherungskarte (EKVK).   

Finanzinstrumente der EU, die dazu beitragen, Gesundheitsprojekte zu fördern, sind zum Beispiel der Europäische Struktur- und Investitionsfonds (ESI), die Connecting Europe Facility for eHealth und das Forschungsprogramm Horizon 2020. Im Rahmen des dritten EU-Gesundheitsprogramms werden Gesundheitsprojekte und Studien finanziert. Dazu zählt auch die eben erwähnte Studie, in dessen Rahmen ein praktischer Ratgeber und Toolkit erarbeitet wurden und gewonnene Erkenntnisse über grenzüberschreitende Gesundheitsprojekte gebündelt wurden.

Das Structural Reform Support Service kann außerdem Mitgliedsstaaten bei der Implementierung von Reformen im Gesundheitsbereich unterstützen, wie zum Beispiel Programme zur Krebsvorsorgeuntersuchung.

Welche Hürden bestehen für EU-Bürger, die sich in einem anderen Land behandeln lassen möchten?

Laut einer aktuellen Studie, erleben EU-Bürgerinnen und Bürger regelmäßig rechtliche und verwaltungstechnische Probleme, wenn sie sich im Ausland behandeln lassen. Größtenteils lassen sich diese auf eine Sprachbarriere zurückführen. Es ist daher wichtig, gute Übersetzungsdienste zu haben, so dass Menschen in Grenzregionen relevante Informationen über das Nachbarland in der eigenen Muttersprache erhalten. Obwohl Nationale Kontaktpunkte eingerichtet wurden, bleibt neben administrativen Problemen die Sprache ein großes Hindernis. Auch die Schwierigkeit, Informationen zwischen Gesundheitseinrichtungen auszutauschen oder mit einer nicht adäquaten IT-Infrastruktur wird oft beobachtet. Es müssen noch mehr Bemühungen unternommen werden, um diese und andere Probleme zu korrigieren. Dazu gehören auch Unterschiede in der Erfassung und Rückerstattung von Gesundheitsdienstleistungen, Ungleichgewichte in der Mobilität von Patientinnen und Patienten und Fachkräften sowie Fachkräfteengpässe in einigen Gegenden.

Um diese Hindernisse zu überwinden, hat die Europäische Kommission beispielsweise im letzten Jahr einen sogenannten "Border Focal Point" eingerichtet. Ziel dieser Initiative ist es, Probleme zwischen verschiedenen Diensten der Europäischen Kommission anzusprechen, Wege aufzuzeigen, wie die EU und Mitgliedsstaaten Komplexität, Länge und Kosten von grenzüberschreitenden Interaktionen reduzieren können und Dienstleistungen entlang der Grenzen zu bündeln. Um mehr darüber herauszufinden und um auf andere in Europa zuzugehen, lade ich Sie ein, die Webplattform "Boost EU Border Regions" zu besuchen. Diese Plattform ist Teil der 10 Maßnahmen, die in der Mitteilung der Kommission aufgeführt wurden und derzeit von der DG REGIO umgesetzt werden.

Darüber hinaus sind viele Kooperationsprojekte im Rahmen von INTERREG durchgeführt worden, um einige Herausforderungen bezüglich der Mobilität von Patientinnen und Patienten sowie Fachkräften zu bewältigen. An der französisch-belgischen Grenze sind noch mehr institutionalisierte und integrierte Strukturen (eine sogenannte ZOAST) geschaffen worden, um Gesundheitsdistrikte in Grenzregionen aufzubauen, in denen Patientinnen und Patienten von beiden Seiten der Grenze einen gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen erhalten und geregelte Verfahren zur Rückerstattung von Behandlungen bestehen. Das Beispiel der ZOAST an der französisch-belgischen Grenze zeigt, dass viel erreicht werden kann, wenn die lokale Bevölkerung zusammen arbeitet und sich gegenseitig mit Vertrauen und Wohlwollen begegnet.

Was für Potenziale sehen Sie für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich?

Eine alternde Bevölkerung, technologische Entwicklungen und steigende Erwartungen von Bürgern setzen die Gesundheitssysteme in vielen Mitgliedsstaaten unter starken Druck. Das Potenzial der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in diesem Bereich ist daher groß und vielseitig, gerade in einem Bereich wie dem Gesundheitssektor, welcher sich auf dem neuesten Stand der Forschung, Technik und e-care-Lösungen befindet und welcher indirekt oder direkt viele Jobs schafft. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit liefert bereits jetzt Beispiele über die wirtschaftliche Nutzung von Fachwissen und Ressourcen und kann die Führung für eine weitere Entwicklung übernehmen.

Es gibt ein großes Interesse von Behörden und Akteuren auf allen Ebenen an diesen Themen, da die Investition in den Gesundheitssektor positive zu einem inklusiven und smarten Wachstum beiträgt. Die Kommission plant daher, eine Konferenz zu diesem Thema, die am 4. Dezember 2018 in Brüssel stattfinden soll. Das Programm wird bald veröffentlicht und Einladungen werden verschickt.

Was würden Sie sich persönlich für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich wünschen? Wie könnte sich diese in 20 Jahren entwickeln?

Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren nicht mehr darüber diskutieren, wie die negativen Auswirkungen von nationalen Grenzen auf das Leben von Bürgerinnen und Bürgern bewältigt werden können. Ich würde mir vor allem wünschen, dass alle Patientinnen und Patienten in 20 Jahren, ganz gleich wo ihr Wohnort ist, im Zentrum der grenzüberschreitenden Gesundheitssysteme stehen und die bestmöglichste präventive Versorgung erhalten. Dazu zählen für mich auch Krebsvorsorgeuntersuchungen und Impfungen gegen Infektionskrankheiten und eine kurative Gesundheitsversorgung. Ich hoffe, dass Bürgerinnen und Bürger in Zukunft nicht eine Minute darüber nachdenken müssen, auf welcher Seite der Grenze sie eine Gesundheitsleistung in Anspruch nehmen.

Bis dahin werden wir über einen noch größeren Pool an Erfahrungen verfügen, was die grenzüberschreitende Gesundheitszusammenarbeit angeht. Dazu zählt es, das Potenzial von wichtigen Europäischen Initiativen wie dem Europäischen Referenznetzwerk zu seltenen Erkrankungen auszuschöpfen. Diese virtuellen Netzwerke bringen Gesundheitsdienstleister aus ganz Europa zusammen, um komplexe oder seltene medizinische Pathologien zu bewältigen – dabei ist das medizinische Fachwissen in Bewegung und nicht der Patient.

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