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Zum Thema Epidemiologie

Coronavirus: Wann gelten die Nachbarländer als Risikogebiete?

Was sind die Kriterien anhand derer ein Land zum Risikogebiet erklärt wird? Besonders in der Grenzregion ist es mitunter schwer, den Überblick zu behalten. So kann es sein, dass eine Region in einem Land als Risikogebiet gilt, nicht aber im Nachbarland. TRISAN erklärt wie die Einstufung als Risikogebiet in den drei Ländern am Oberrhein funktioniert.

„Die Région Grand Est wurde vom RKI (Robert Koch-Institut, Anm. d. Redaktion) erneut NICHT als Risikogebiet gelistet“ – nicht wenige Bewohnerinnen und Bewohner der trinationalen Grenzregion dürften über diese Facebook-Nachricht des Eurodistrikts Strasbourg-Ortenau Anfang Oktober erleichtert gewesen sein. Damit war die Région Grand Est zu diesem Zeitpunkt – neben dem Überseegebiet Martinique – die einzige französische Région, in dem in den Augen des deutschen Instituts kein erhöhtes Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 herrschte. Oder anders ausgedrückt: Das grenzüberschreitende Leben und Arbeiten konnte vorerst ungehindert weitergehen.

Dies hat sich mittlerweile geändert: Seit Mitte Oktober gelten aus deutscher Sicht Kontinentalfrankreich sowie alle französischen Überseegebiete als Risikogebiete, ebenso wie die Schweiz. Möchte man nun aus diesen Gebieten in die Bundesrepublik einreisen, sind – je nach Bundesland – unterschiedliche Maßnahmen zum Infektionsschutz zu beachten. Die Schweiz wiederum hat nur Teile Frankreichs auf ihrer „Liste der Staaten und Gebiete mit erhöhtem Ansteckungsrisiko“ aufgeführt (derzeit nur das Überseegebiet Polynésie française, Stand: 23. November).

Aber warum gilt eine Region in einem Land als Risikogebiet, nicht aber im Nachbarland? Gerade in der Grenzregion ist es gar nicht so leicht, den Überblick über die verschiedenen Kriterien zu behalten, auf denen die Einstufung als Risikogebiet beruht. Im Folgenden erklären wir, wie diese unterschiedlichen Listen in den Ländern am Oberrhein zu Stande kommen.
 

Deutschland

Werfen wir zunächst einen Blick nach Deutschland. Wie eingangs erwähnt, listet das Robert Koch-Institut (RKI) auf seiner Webseite alle Länder auf, die derzeit als Risikogebiete oder nicht mehr als solche gelten. Das RKI entscheidet jedoch nicht, ob ein ausländisches Gebiet auf die Liste kommt. Dies ist die gemeinsame Aufgabe dreier Bundesministerien: des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des Auswärtige Amtes und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI).

Dabei gehen sie wie folgt vor: In einem ersten Schritt listen die Ministerien diejenigen Staaten oder Regionen auf, in denen es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gab (dies ist die sogenannte 7-Tage-Inzidenz). In einem zweiten Schritt betrachten sie qualitative Kriterien, um einzuschätzen, ob in Gebieten mit einer geringeren 7-Tage-Inzidenz (unter 50) dennoch ein erhöhtes Infektionsrisiko vorliegt.

Bei diesen Kriterien handelt es sich um die Infektionszahlen, die Art des Ausbruchs (lokal begrenzt oder flächendeckend), die Testkapazitäten und die durchgeführten Tests pro Einwohner sowie die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens im Nachbarland (z.B. Hygienebestimmungen, Kontaktnachverfolgung). Sollten für bestimmte Staaten verlässliche Informationen fehlen, wird dies auch berücksichtigt.

Die benötigten qualitativen Informationen zur Lage vor Ort und den getroffenen Maßnahmen liefert vor allem das Auswärtige Amt (basierend auf der Berichterstattung der deutschen Auslandsvertretungen) sowie gegebenenfalls das BMG und das BMI. Welche konkreten Maßnahmen für Einreisende oder Reiserückkehrer aus den Risikogebieten gelten, entscheiden dann die zuständigen Bundesländer.

Frankreich

Unsere französischen Nachbarn weisen hingegen keine ausländischen Risikogebiete aus. Zwar gibt es eine Liste der „zones de circulation de l’infection“, doch handelt es sich hierbei vielmehr um eine Liste von Ausnahmen bzw. von „Nicht-Risikogebieten“, da der Text zu Beginn alle Länder der Welt zu Gebieten mit erhöhtem Infektionsrisiko erklärt. Zu den Ausnahmen zählen u.a. Frankreich (außer die Überseegebiete Guyane und Mayotte) sowie alle weiteren EU-Mitgliedsstaaten. Welche Länder auf die Liste kommen, legt der Gesundheitsminister (derzeit: Olivier Véran) per Erlass fest. Für Personen, die sich im letzten Monat in einem nicht ausgenommenen Staat aufgehalten haben, kann der zuständige Präfekt bzw. die zuständige Präfektin entsprechende Isolierungsmaßnahmen anordnen.

Die Liste der „zones de circulation de l’infection“ wurde am 10. Juli 2020 im Gesetzbuch über die öffentliche Gesundheit (II Artikel L.3131-15 des Code de la santé publique) veröffentlicht und am 14. August 2020 geändert.

→ Zur Version vom 10. Juli 2020

→ Zur Version vom 14. August 2020

Reisenden aus EU- und EWR-Staaten bzw. Großbritannien nach Frankreich empfiehlt das französische Europa- und Außenministerium sich auf der Webseite des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) über die epidemiologische Lage in ihrem Herkunftsland zu informieren. Hierzu stellt das ECDC mehrere Karten zum Infektionsgeschehen zur Verfügung, auf die sich die EU-Staaten am 13. Oktober 2020 geeinigt hatten. Personen, die aus einem Land mit hohem Infektionsrisiko (Farbcode rot, orange oder grau) in Frankreich einreisen und älter als 11 Jahre sind, sollten sich laut Ministerium auf eine Infektion testen lassen, sich in der Zwischenzeit isolieren und ggf. eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. 

Schweiz

In der Schweiz gibt es zwei Listen, die internationale Risikogebiete ausweisen: die „Liste der Risikoländer und -regionen” im Rahmen der Covid-19-Verordnung 3 und die “Liste der Staaten und Gebiete mit erhöhtem Ansteckungsrisiko” als Teil der Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus im Bereich des internationalen Personenverkehrs. Beide Verordnungen haben zum Ziel, die Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, indem die Einschleppung des Virus’ und seine Verbreitung in der Schweiz möglichst verhindert werden.

Gemäß der Covid-19-Verordnung 3 gelten „Länder oder Regionen, deren Behörden ausserordentliche Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Covid-19-Epidemie angeordnet haben” als Risikoländer oder -regionen. Die entsprechende Liste ist als Anhang 1 Teil der Verordnung. Demzufolge sind, bis auf wenige Ausnahmen, alle Staaten außerhalb des Schengen-Raumes Risikogebiete. Die Liste wird vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) erstellt, das sich hierzu mit dem Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) und dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) abstimmt.

Die „Liste der Staaten und Gebiete mit erhöhtem Ansteckungsrisiko”, die auch auf der Webseite des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zu finden ist, bildet die Grundlage für die Quarantänepflicht: Personen, die aus den aufgeführten Territorien in die Schweiz einreisen, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Liste unterscheidet dabei nach Staaten (inklusive der Gebiete, Inseln und Überseegebiete eines Staates) und Gebieten der Nachbarstaaten.

Aber wann gilt aus schweizerischer Perspektive ein Gebiet als Risikogebiet?

Ausschlaggebend für die Einschätzung des Infektionsrisikos ist die 14-Tage-Inzidenz (Neuansteckungen pro 100.000 Personen in den letzten 14 Tagen). Ist diese in einem Staat um mindestens 60 höher als die Inzidenz in der Schweiz, kommt das Land auf die Liste. Für die jeweils aktuellen Inzidenzen werden Daten des ECDC herangezogen. Ist eine entsprechend hohe Inzidenz in einem Land jedoch lediglich auf einzelne Ereignisse oder lokale Cluster zurückzuführen, erscheint es nicht auf der Liste.

Neben der Inzidenz gibt es noch zwei weitere Voraussetzungen, anhand derer Länder zu Risikogebieten erklärt werden können. Zum einen wird berücksichtigt, wenn die verfügbaren Informationen aus einem Staat keine verlässliche Einschätzung der Risikolage erlauben und Hinweise auf ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehen. Ein weiteres Kriterium ist die Einreise wiederholt infizierter Personen aus einem Staat oder Gebiet innerhalb der letzten vier Wochen. Hierfür wurde zwar kein Grenzwert definiert, doch muss sich diese Zahl im Vergleich zu anderen Ländern oder Gebieten deutlich abheben.

Ein besonderer Fall sind die Grenzgebiete der Schweiz: Hier wird nicht die Inzidenz des ganzen Staates, sondern nur die der einzelnen Gebiete betrachtet. Trotz Vorliegen einer entsprechend hohen Inzidenz können diese Gebiete von einer Aufnahme auf die Liste ausgenommen werden. Grund hierfür ist der enge grenzüberschreitende Austausch mit der Schweiz auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Ebene. Bewohnerinnen und Bewohner der trinationalen Grenzregion aus Frankreich und Deutschland können sich entsprechend ohne weitere Auflagen ins Nachbarland begeben.

Und wer entscheidet, welche Länder oder Gebiete auf die Liste kommen?

Erstellt wird die Liste vom Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI), das sich zu diesem Zweck mit weiteren Eidgenössischen Departements abstimmt: mit dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zur Koordination mit der Liste der Risikoländer und -regionen nach Anhang 1 der Covid-19-Verordnung 3; mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD), da Maßnahmen an Grenzübergängen in enger Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Zollverwaltung (EVZ) erarbeitet und umgesetzt werden; und schließlich auch mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zur Pflege der internationalen Beziehungen der Schweiz. Die Liste wird in Abhängigkeit der epidemiologischen Lage mindestens einmal pro Monat überprüft und gegebenenfalls aktualisiert.
 

Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen, dass die grenzüberschreitende Perspektive bei der Einführung nationaler Regelungen häufig noch zu kurz kommt: Wenn das Nachbarland zum Risikogebiet erklärt wird, sind den nationalen Entscheidungsträgern die konkreten Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Lebensrealität vieler Menschen oft nicht bewusst. Zwar konnten im Herbst auf deutscher Seite entsprechende Ausnahmeregelungen gefunden werden, doch viele Aspekte der grenzüberschreitenden Alltagsorganisation waren – besonders auch aufgrund der Befürchtung einer erneuten Grenzschließung – nach wie vor mit Ängsten verknüpft: Darf ich drüben noch einkaufen gehen oder mich ärztlich behandeln lassen? Kann ich meine Familie im Nachbarland besuchen? Diese und eine Vielzahl weiterer Fragen versuchen grenzüberschreitende Einrichtungen am Oberrhein, wie beispielsweise das INFOBEST-Netzwerk, tagtäglich zu beantworten. Häufig stellen sich dabei neue Problemstellungen heraus, für die unter Einbezug der nationalen Ebenen erst noch Lösungen gefunden werden müssen.

Gerade während der „ersten Welle“ der Coronavirus-Pandemie kam es auch zu Stigmatisierungen. Das zum Risikogebiet erklärte Nachbarland wurde plötzlich als Bedrohung wahrgenommen und dessen Bewohnerinnen und Bewohner mitunter mit Misstrauen begegnet. Es braucht daher eine funktionierende grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf allen administrativen Niveaus und unter Einbezug der bestehenden grenzüberschreitenden Akteure, aber auch eine effektive grenzüberschreitende Kommunikation, um die Bevölkerung der Grenzregion für die verschiedenen nationalen Lösungsansätze zur Pandemieeindämmung zu sensibilisieren. Auf europäischer Ebene wurden bereits Schritte unternommen, die Kriterien zur Bestimmung von Risikogebieten zu vereinheitlichen und daran gekoppelte Entscheidungsprozesse mit Auswirkungen auf die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union transparenter zu machen.  

Europäische Kriterien für die Kartierung von Risikogebieten

Nach langen Diskussionen haben sich die EU-Staaten Mitte Oktober 2020 auf einen gemeinsamen Ansatz für Reisebestimmungen geeinigt und gemeinsame Kriterien für die Kartierung von Risikogebieten festgelegt. Damit wollen sie die Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raumes wahren, mehr Transparenz für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen schaffen und eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen in der EU vermeiden.

Zur Einschätzung des Infektionsgeschehens in einem Land oder Gebiet, übermitteln die EU-Mitgliedstaaten seitdem jeden Dienstag Daten an das ECDC (über das europäische Überwachungssystem TESSy). Bei den übermittelten Daten handelt es sich um die Zahl der Tests pro 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen (Testquote), den Prozentsatz positiver Tests in den letzten 7 Tagen (Testpositivitätsrate) und um die kumulative Fallzahl über 14 Tage pro 100.000 Einwohner.

Auf dieser Grundlage erstellt das ECDC eine farbcodierte Karte, die es jeden Donnerstag auf seiner Webseite veröffentlicht. Anhand der Farbcodes (grün, orange, rot, grau) kann das Infektionsrisiko auf regionaler Ebene mit einem Blick erfasst werden: 

  • grün, wenn die 14-Tage-Inzidenz unter 25 und die Testpositivitätsrate unter 4 % liegt;
  • orange, wenn die 14-Tage-Inzidenz unter 50 liegt, die Testpositivitätsrate jedoch 4 % oder mehr beträgt, oder wenn die 14-Tage-Inzidenz zwischen 25 und 150 und die Testpositivitätsrate unter 4 % liegt;
  • rot, wenn die 14-Tage-Inzidenz bei 50 oder mehr liegt und die Testpositivätsrate 4 % oder mehr beträgt oder wenn die 14-Tage-Inzidenz bei mehr als 150 liegt;
  • grau, wenn nicht genügend Informationen vorliegen oder wenn die Testquote unter 300 liegt.

Da die Europäische Union im Gesundheitsbereich bisher über keine weitreichenden Kompetenzen verfügt, sind die vorgeschlagenen Kriterien jedoch lediglich als Empfehlung zu sehen. Ob diese tatsächlich genutzt werden, liegt im Ermessen eines jeden Mitgliedsstaates.
 

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